Singen lehren, Singen lernen….
„ … jedenfalls wollen wir darüber nicht streiten; es ist ein weites Feld. Und dann sind auch die Menschen so verschieden…“
Die Wendung geht zurück auf Theodor Fontanes Roman „Effie Briest“ und passt sehr gut, will man beschreiben, worum es beim Singen-Lehren-und Lernen geht.
Lehren und Lernen sind gleichermaßen langwierige, komplexe Prozesse, die nur gelingen können, wenn die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler auf gegenseitigem Vertrauen und Anerkennung der jeweiligen Persönlichkeit beruht.
Beim Lehrenden sind ein hohes Maß an fundierter Fachkenntnis, Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen, Vermittlungskompetenzen technischer und menschlicher Art sowie eine kritische Selbstreflexion Grundvoraussetzung für einen gelingenden Ausbildungsprozess.
Der Lernende hat zunächst die Aufgabe – und diese ist oft mit Ängsten, Zweifeln und Unsicherheit verbunden – sich auf das Konzept des Lehrers einzulassen.
Ausprobieren, Üben, Wahrnehmen, Fühlen sind Prozesse, die den Sänger auch das ganze Berufsleben dauerhaft begleiten.
Das Singen ist darüber hinaus sehr stark mit der seelisch-emotionalen Ebene verbunden; nicht selten kommen verborgene Gefühle zum Vorschein, die es zu bearbeiten und zu integrieren gilt.
In jedem Fall geht es um eine ganzheitliche Entwicklung, welche die gesamte Persönlichkeit einschließt.
Mein persönlicher Wunsch ist es, ein gesundes gesangstechnisches Fundament zu vermitteln, das nicht losgelöst ist von der Freude und Leidenschaft am Singen, das zur richtigen Zeit das richtige Repertoire in den Mittelpunkt stellt sowie auf die gegebenen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Studierenden eingeht.
Ein Gesangslehrer kann allerdings nicht ALLES richten. Der bekannte Gesangspädagoge Paul Lohmann hat einmal gesagt: „Singen lernt man zwischen den Gesangsstunden“. Genauso ist es.
Von zweimal 45 Minuten Gesangsunterricht in der Woche in insgesamt 30 Semesterwochen wird niemand ein herausragender Sänger.
Dies bedeutet für den Gesangsstudenten eine immense Fleißarbeit, einen Lernprozess des Umsetzens, des sich selbst Befragens, des Ausprobierens und Übens.
Technik als Fundament ist nur eine Sache. Das „Sich-Ausdrücken“, das Transportieren von GEFÜHLEN und INHALTEN steht aber letztlich im Mittelpunkt dessen, was zur Hauptaufgabe eines Sängers gehört.
Das Publikum BERÜHREN – wenn uns dies gelingt, erfüllt es die Zuhörer und uns selbst gleichermaßen.
Der Student ist nicht „Eigentum“ seines Lehrers.
Natürlich freue ich mich, wenn meine Schüler Erfolg haben, und wenn die gemeinsame Arbeit Früchte trägt.
Ebenso sehe ich es auch als meine Aufgabe, ihnen Wege aufzuzeigen, die nicht ausschließlich an meine Person gekoppelt sind. Ich möchte sie ermutigen, über den Tellerrand hinauszuschauen:
Der Besuch von Meisterkursen, die den bisherigen Weg unterstützen und erweitern, ein fortführendes Studium bei einem Kollegen oder die Teilnahme an Wettbewerben, die heute zu wichtigen Sprungbrettern gehören, sind Möglichkeiten, welche in den meisten Fällen die gesamte Persönlichkeit stärken und voranbringen.
In den ersten Jahren der Ausbildung befürworte ich eine wirkliche Kontinuität; das sogenannte „Teach-Hopping“, das heißt, von einem Lehrer zum anderen zu springen, ist wenig zielführend und verschleiert nur allzu oft das eigentliche Problem.
Wenn die „Chemie“ zwischen Lehrer und Schüler allerdings gar nicht stimmen sollte, und keine gemeinsame Linie entstehen kann, ist für beide Seiten eine Trennung auch manchmal sehr sinnvoll.
Ganz wichtig ist mir, ein ehrliches und verantwortungsvolles Feedback zu geben, welches dem Studierenden ermöglicht, seinen individuellen Weg zu finden – als Solist, in einem Chor oder Ensemble oder aber auch als Pädagoge.
Eine professionelle Beratung sowie eine gute Selbstwahrnehmung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten sind unverzichtbar, wenn man langfristig als Sänger tätig sein möchte.
Für diesen wunderbaren Beruf lohnt es sich, viel Arbeit und Fleiß auf sich zu nehmen und ich wünsche allen, sich auf diesen spannenden Prozess voll Freude, Lebendigkeit und Neugier einzulassen.
Einen solchen Weg begleiten zu dürfen, ist für mich als Lehrende gleichermaßen Bereicherung wie Herausforderung.